Datum: 14.05.2012
Woran krankt es im heimischen Fußball? Österreich hat sich einen eigenen Fußballkosmos geschaffen
Der Mensch vergleicht sich gerne mit anderen Menschen. Gruppen von Menschen tun dies mit anderen Gruppen genauso, ja sogar ganze Staaten treten in den Wettstreit um die besten (oder am wenigsten schlechten) Wirtschaftsdaten, das beste Chanson oder die schlauesten Schüler.
Wie kam es zu dem Abstieg?
Wie schön, dass es noch unkomplizierte Kompetitionen gibt, mit allgemein gültigen, für jedermann verständlichen und weltweit gleichen Regeln. Fußball etwa. Wobei man schon munkelt, es handle sich bei der österreichischen Abart um eine inzwischen nur mehr verwandte Sportart dessen, was auf europäischer Bühne mitunter geboten wird. Hat man gerade genüsslich mitangesehen, wie die Granden der Szene im Championat der Besten aufgeigen, schlägt einem bei ungünstiger Senderwahl anschließend der Wahnsinn namens "Heute für Morgen Erste Liga" ins Gesicht. Ohne die Leistung der Protagonisten unserer Bundesliga schmälern oder ihnen zu nahe treten zu wollen: Der österreichische Klubfußball hat sich, wenn auch unausgesprochen, mit der Teilnahme an der neu geschaffenen Europa League (EL), der zweiten Spielklasse Europas, abgefunden. Ausreißer in die Königsklasse bleiben Träumereien, genauso wie der Triumph in der oft als "Trostliga" bezeichneten EL. Angesichts vergangener Erfolge ein Abstieg, aber wie kam es dazu?
Der Fußball hat sich, vor allem in Europa, in den letzten zehn Jahren rasant entwickelt: Athletik und Tempo haben massiv zugenommen, technische Grundfertigkeiten in Sekundenbruchteilen abzurufen und richtige Entscheidungen automatisiert zu treffen ist heutzutage ein Muss. Die Klubmannschaften gingen nach und nach dazu über, ihre Strukturen nach einem übergeordneten Ziel auszurichten, das stringent verfolgt und regelmäßig adaptiert wird. Flexibilität, Kreativität und überlegte Entscheidungen werden von allen Beteiligten, vom Zeugwart über Spieler und Trainer bis zum Vorstand, verlangt, und je homogener diese Attribute im Verein vertreten werden, desto größer ist die Chance auf Erfolg. Fußball lebt inzwischen nicht mehr vom Moment, sondern von reflektierter Planung, individueller Vorbereitung, taktischem Verständnis und absolut professioneller Einstellung dem Beruf gegenüber. Die Nationalauswahlen profitieren von den so in den Klubs trainierten Spielern, die Verbände stimmen mit der Liga ihre Vorgehensweise im im Optimalfall ab.
Strukturen gleich - Ergebnisse unterschiedlich?
Die SV Ried, Sturm Graz oder auch die Wiener Austria stellen sich diesen Herausforderungen, auch andere Vereine habe Akademien, gut ausgebildete Nachwuchstrainer und sind theoretisch auf dem letzten Stand der Technik. Der ÖFB wiederum bemüht sich seit Jahren, zeitgemäße Nachwuchsförderung in der Breite zu etablieren, und pusht gleichzeitig die eigenen Nachwuchsauswahlen zu Erfolgen, die durchaus anerkennenswert sind. Doch warum schafft es nur ein verhältnismäßig kleiner Teil, im Ausland Fuß zu fassen oder in der heimischen Liga außerordentlich aufzuzeigen? Wieso gelingt vielen der Umstieg vom Nachwuchs- in den Profifußball nicht?
Schlagworte, aber kein fassbares Konzept
Einserseits ist dies zum Teil der zusammengewürfelten Nachwuchsförderung geschuldet. Es gibt kein "österreichisches System", obwohl dies oft und vehement von offizieller Seite behauptet wird - Ideen werden gesammelt, kopiert oder adaptiert und zu etwas Neuem ("Projekt 12", "Challenge 08") vermischt und als eigenes Produkt verkauft. Schlagworte und toll klingende Ansätze aber werden ohne fassbares Konzept zu heißer Luft. Gezieltes Fördern kognitiver Eigenschaften (Raumorientierung, Antizipationsvermögen, Reaktionsschnelligkeit etc.) auf und neben dem Platz findet unzureichend statt, spielerische Lösungen in Echtzeit zu kreieren wird vor allem im Basisbereich (bis zur U14) vernachlässigt. Ergebnisorientiertes Agieren, Scheu vor Fehlern, Training monotoner Bewegungsabläufe und wenig Risikobereitschaft bereits im Kinder- und Jugendbereich führen zu dem, was uns die Liga momentan bietet: Schema-F-Gekicke mit der Hoffnung auf individuelle Ausrufezeichen.
Andererseits haben die Vereine oft mit Spielern zu kämpfen, die bereits in jungen Jahren sportlich hoch veranlagt sind, denen es aber an den nötigen Charaktereigenschaften fehlt: Kritikfähigkeit, Demut, Eigeninitiative, konsensorientiertem und kollektivem Denken sowie einer Extraportion Ehrgeiz.Tugenden, die in vielen Bereichen außerhalb des Fußballs auch hilfreich wären, die den Kindern und Jugendlichen aber selten von den Eltern(teilen) oder den Bildungsinstitutionen vermittelt werden. Insofern sollte der Nachwuchsbetreuer auch ein Stück weit Pädagoge sein, um diese nötigen Voraussetzungen mit den Sprösslingen zu erarbeiten. Stattdessen wird hier viel Potenzial verheizt. Hier wäre der ÖFB gefragt, eine umfassende Reform der Nachwuchsarbeit in Österreich einzuleiten, um den vielen engagierten Trainern ein passendes Werkzeug in die Hände zu drücken.
Knackpunkt ÖFB, Liga und ORF
Der Bundesverband wiederum steht sich selbst im Weg. Verhaberte Seilschaften, ein langjähriger Kleinkrieg mit der Liga, geschützte Werkstätten für Ex-Internationale bei gleichzeitigem Aussperren von ambitionierten Jungtrainern ohne Profivergangenheit (Thomas Weissenböck von Blau-Weiß Linz als Beispiel), groteske Vorträge (siehe auch auf derStandard.at "Von Heraklit bis Ruttensteiner") und die jüngere Trainergeschichte (Didi Constantini, Karel Brückner, Josef Hickersberger oder Hans Krankl) samt der teils peinlichen Possen dazu animieren nicht gerade dazu, dem ÖFB das Attribut "professionell" auszustellen. Man lügt sich gerne in den Sack, spricht von einer Schwemme von jungen Legionären - nur: Die Zahl derer, die es tatsächlich schaffen, Kaderspieler oder sogar Leistungsträger zu werden, ist sehr überschaubar. Die Drop-out-Quote ist immens hoch, viele schaffen den Umstieg in die harte und teils auch unschöne Profifußballwelt aus oben genannten Gründen nicht. Was in Deutschland selbstverständlich ist, ist hierzulande nicht von allen zu erwarten: Auch der Beste der Mannschaft gibt im Training das letzte Hemd. Auch der Vifste ist nicht nur physisch bei der taktischen Besprechung anwesend. Auch der Routinierteste lässt die DVD nicht nur im Augenwinkel laufen.
Die Liga inszeniert sich, als ob ihr verkauftes Produkt der Knüller wäre. Werbung am Kragen, am Hosenboden, im Vereinsnamen. Sie sieht sich dem ÖFB zu nichts verpflichtet, regelmäßige Meetings der beiden Trägerinstitutionen des österreichischen Fußballs enden nicht selten in Missgunst, Animositäten und dem Bestehen auf persönlichen Befindlichkeiten. Und der ORF tut sein Übriges dazu, bietet als öffentlich-rechtlicher Sender im TV Sendungen feil, die sowohl im Studio als auch in der Live-Übertragung einer Parodie auf Sportjournalismus gleichen. Im österreichischen Privatfernsehen bekommt man bereits qualitativ hochwertigere Produktionen zu sehen, von Berichterstattung à la ARD oder ZDF wagt man hierzulande nicht einmal zu träumen.
"Wir sind halt keine Fußballnation"
Österreich hat sich seinen eigenen Fußballkosmos geschaffen, der sich vieles selbst erklärt und aus sich selbst immer wieder neu entsteht. Wer bereits mit hohen ÖFB-Funktionären zu tun hatte, wird ein Lied davon singen können. Einer der höchsten Funktionäre des ÖFB sagte vor nicht allzu langer Zeit sinngemäß zu mir: "Die Brasilianer sind nicht gerade die Hellsten, trotzdem sind sie fünfmal Weltmeister geworden." Er halte eher nichts von der Idee von Spielern, die sich auch im kognitiven Bereich weiterentwickeln sollten. Diese Herangehensweise spricht Bände. Hier wird Eigenverantwortung gepredigt und von Spielern eingefordert, die nie die Chance bekommen haben, sich diese in Ruhe anzueignen. Es wird seit Jahren ignoriert, dass wir landauf, landab im zentralen Mittelfeld ein schwarzes Loch haben, genau dort, wo der moderne Fußball sein neuralgisches Zentrum hat. Und oft hört man, sobald man die Legionärsquote mit einwohnermäßig ähnlichpotenten, aber weit erfolgreicheren Nationen vergleicht, die Aussage: "Wir sind halt keine Fußballnation."
Bumm. Das Totschlagargument schlechthin. Meiner Erfahrung nach ist Fußball Volkssport Nummer eins. Kinder lieben dieses Spiel, jeder hat Idole und will bei Barcelona, Real, Bayern oder Manchester Unitedspielen. Und es gibt unzählige, die das Talent dazu hätten, es weiter zu bringen, als es ihre Umstände zulassen. Es gibt in Österreich Vereine, die diese Motivation aufgreifen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits versuchen, oben erwähnte moderne Konzepte zu etablieren. Solange jedoch kein nachhaltiger Masterplan von ganz oben kommt, werden diese Vereine, ob klein oder groß, für sich selbst weiterarbeiten und auf sich alleine gestellt bleiben - ganz im Widerspruch zu der Idee einer Sportart, in der das große Kollektiv heute über Sieg oder Niederlage entscheidet. (Leserkommentar, Florian Dibold, derStandard.at, 14.5.2012)
Autor
Florian Dibold, geboren 1980 in Linz, arbeitet seit 2009 als Hortpädagoge (Schwerpunkt Integration) in Linz und ist seit 2009 Mitarbeiter der baumit Kick-and-Learn Fußballcamps sowie Nachwuchsbetreuer bei SK Admira Linz.
Der Originalartikel und die dazugehörenden Kommentare sind zu lesen unter:
http://derstandard.at/1336435362383/Florian-Dibold-Fussballkosmos-Oesterreich#forumstart
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